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Das mühsame Geschäft mit der Reputation
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Andreas Brandtner

Das mühsame Geschäft mit der Reputation


  Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie schnell und wie gründlich man sich durch eigenes Tun und Unterlassen um seinen Ruf bringen kann, dann nehme man den ADAC. Es begann, wie immer, ganz harmlos. Im Januar 2014 wurden plötzlich neue Fragen (1) gestellt, viele Fragen. Aber binnen kürzester Zeit wuchs sich das zu einer Reputationskrise ersten Ranges aus.

  Am Ende standen keine Fragezeichen mehr hinter Beschreibungen des ADAC als ‚gieriger Profitmaschine’, der sogar ein „Mindestmaß an moderner Unternehmenskultur“(2) abgesprochen werden durfte. Schnell überhitzte sich der Medienbetrieb auf der Suche nach immer neuen Verfehlungen. Dieter Nuhr, als Kabarettist ein zuverlässiger Seismometer für solche Übertreibungen, trieb das genüsslich auf die Spitze: „Wo war der ADAC, als unser Gartenhäuschen abgebrannt ist, als Oma Ingrid krank war oder unser Mehrschweinchen starb?“ (3)

  Lustig war das nur auf den ersten Blick und sicherlich gar nicht für die Verantwortlichen beim ADAC. Doch sie hatten allzu lange gebraucht, um zu verstehen, wie ihnen da geschah (wenn sie es denn verstanden haben!). Dabei verrät das Reputation Institute wirklich kein Geheimnis, wenn es für Organisationen in der heutigen Welt als Basiserkenntnis bereithält: Unsere Position in Wirtschaft und Gesellschaft wird so stark wie nie von  Reputation bestimmt. „Who you are matters more than what you produce.“ (4)

   Von einem deutschen Industriellen habe ich mir den Stoßseufzer notiert: „Es ist eben das Schicksal des Unternehmers, Gutes zu tun und sich Böses nachsagen lassen zu müssen.“ (5) Dies ist einer von jenen Sätzen, die so treffend scheinen, so klar und wahr daherkommen, dass – ja, dass sie eben meistens gerade nicht stimmen.

  Ganz so einfach lässt sich die Verantwortung für das Bild, dass sich die Öffentlichkeit von einem Unternehmen oder einem Unternehmer, von DER Wirtschaft oder DEN Unternehmern macht, denn doch nicht abschieben auf das Konto ‚Kann-ich-doch-nichts-dran-ändern’. Resignation oder gar Selbstmitleid sind völlig fehl am Platz. Das Ansehen, der Ruf, die Reputation ist natürlich nicht schicksalsgegeben. Jeder weiß das. Es gibt immer eine Geschichte dahinter. Der Ruf eines Unternehmens, einer Branche, eines Managers oder einer Berufsgruppe hat Gründe. Und für diese Gründe sind die Unternehmen, die Branchen, die Manager, die Berufsgruppen zunächst einmal ganz und gar allein verantwortlich.

  Es gibt also Gründe. Was es aber auch gibt: eine Menge Ausreden, getarnt als Begründungen. "Ja, der Markt... Ja, die Umstände... Ja, die Medien... Das haben wir doch gar nicht so gemeint... ‚Eigentlich’ war das doch alles ganz anders, aber wir werden eben missverstanden, gezielt womöglich..." Kann ja sein. Aber hilft das? Lenkt dieser Reflex, Kritik in Nullzeit woanders hin abzulenken, nicht vom Eigentlichen ab? Höre ich dann überhaupt noch, was mir gesagt wurde? Wenn nicht: Nehme ich mir so nicht jede Chance, zu verstehen und etwas zu lernen?

   Das klingt vielleicht etwas banal und einfach. Im Grunde ist das auch verstandesmäßig nicht gerade ´rocket science´. Aber wenn es denn so banal und einfach ist, warum gibt es die riesigen Unterschiede in der Reputation? Warum werden dann immer wieder die gleichen Fehler gemacht? Warum wird immer noch so sträflich unterschätzt, welche Bedeutung ein guter Ruf für jede Art von Erfolg hat?

   Weil das scheinbar Einfache oft das Schwierigste ist, wie überall im richtigen Leben. Drei Schritte sind nötig, um hier weiter zu kommen:

Schritt 1: Herausfinden, wie die Außensicht, das Fremdbild derzeit ist, aus allen erreichbaren Quellen, am besten aus direkten Gesprächen mit den wichtigsten Stakeholdern(6).

Schritt 2, der eigentlich schwierige Teil: Das sich daraus ergebende Fremdbild wirklich zur Kenntnis nehmen, annehmen, akzeptieren. Nicht, weil das alles zwangsläufig auch stimmt, was ‚die anderen’ denken. Aber weil es ein Feedback ist und als solches wertvoll. Wie eine Organisation von anderen gesehen wird, wie sie buchstäblich ´an-gesehen´ wird, das macht ihre Reputation aus. Reputation ist Feedback. Das aber muss zunächst einmal ernsthaft angehört, besser: angenmommen werden. Und darf ncht gleich wieder verwässert werden, durch Begründungen oder Ausreden.

Schritt 3: Analysieren, lernen, verändern. Dafür ist es ausgesprochen hilfreich, wenn klar ist, wohin die Reise gehen soll.

- Welche Reputation strebt eine Organisation oder ein Manager bei ihren Stakeholdern oder in der Öffentlichkeit an?

- Ist verstanden, dass diese Reputation und die Realität nicht allzu weit auseinanderfallen können?

- Ist verstanden, das es einen direkten Zusammenhang zwischen Sein & Handeln auf der einen und Reputation & Wirkung auf der anderen Seite gibt?

- Die Gretchenfrage: Bin ich wirklich bereit, mich selbst und meine Organisation immer wieder auf die Probe zu stellen? Nicht zuletzt, weil mir klar ist, dass einmal eben keinmal ist in Sachen Reputation und es auf Kontinuität ankommt, wo es um Glaubwürdigkeit und Vertrauen geht?

  Erst dann, erst also nach einem gründlichen Soll-/Ist-Abgleich macht es Sinn, gezielt etwas für die Verbesserung zu tun. Erst dann kommen die Maßnahmen. Das wichtigste Instrument dafür hat jeder eigentlich bei sich, benutzt es aber nicht immer. Es ist der gesunde Menschenverstand. Die anderen Instrumente stellen Stakeholder Management und Public Relations, moderne Öffentlichkeitsarbeit also, bereit. 

  Einen Ruf hat jede Organisation, er mag gefallen oder nicht. Schließlich sind Beziehungen zu anderen nachgerade das, wovon eine Organisation lebt, ihr ‚reason for being’: Lieferanten und Kunden, Geldgeber und Politiker – jede dieser und eine Vielzahl weiterer Stakeholdergruppen (6) macht sich ein Bild, hat seine je verschiedenen Ansprüche und Erfahrungen. Die wollen erkannt, anerkannt und gepflegt sein.

  Aber ist das nicht auch wieder trivial? Zum einen ‚siehe oben’: Die Schwierigkeiten beim Tun des Einfachen. Natürlich muss sich jede Organisation, jeder Manager um die verschiedenen Stakeholdergruppen kümmern, wenn es um die Kernaufgaben geht, nämlich zu produzieren, zu acquirieren, zu verkaufen, zu dienstleisten, was auch immer die Aufgaben sein mögen.

  Aber zugleich gibt es hier allzu oft ein grundlegendes Mißverständnis. Denn welches Bild bei den Stakeholdern von einer Organisation entsteht, dass hat nur teilweise mit der Qualität der gelieferten Produkte oder Dienstleistungen zu tun. Natürlich ist die Anerkennung im Markt zunächst einmal das, worauf es ankommen muss. Aber das genügt nicht. Nur auf dem einen, dem ökonomischen Bein, steht es sich schlecht.

   Wer nicht ebenso bemüht ist um die gesellschaftliche Anerkennung durch die Öffentlichkeit, gar um die Billigung der eigenen Existenz und seiner Aktivitäten, stößt früher oder später an Grenzen oder gerät sogar ins Straucheln. Reputation speist sich nicht ausschließlich aus der Sachebene, aus Fakten und – wie auch immer gemessenem – Erfolg. Das ist alles wichtig, reicht aber nicht. Denn was ebenso beobachtet wird, ist das ‚Wie’:

- Wie verhält sich eine Organisation?

- Wie verhalten sich ihre Vertreter? Haben sie auch die weichen Faktoren im Blick?

- Wissen sie um ihre gesellschaftliche Verantwortung?

- Handeln sie entsprechend?

  Für die extreme Variante der puren Wirtschaftlichkeits-Orientierung gibt es einen Begriff, der das Problem sehr schön in ein Bild fasst: Cowboy-Ökonomie (7). Gemäß ihrer Maxime sind Märkte und gesellschaftlicher Goodwill als unerschöpfliche Weidegründe und Abfallgruben zu betrachten, die man ruhig abgrasen kann, bevor man weiterzieht. Schließlich gibt es genug davon.

  Machen wir uns nichts vor: Solche Management-Cowboys sind nach wie vor unter uns. Sie treiben immer größere Herden auf immer magerere Weiden. Und übersehen dabei, dass die meinungsführenden Teile der Öffentlichkeit heute mehr und vor allem anderes verlangen als Sachinformation: ernsthafte Parti-zipationsangebote, verantwortliches Handeln für Gesellschaft und Umwelt, nachhaltiges Denken.

  Selbst den Cowboy-Ökonomen fällt schließlich, wenn die öffentliche Meinung ihnen mit Macht das Geschäft verdirbt, Stakeholder Management und Öffentlichkeitsarbeit als Rettungsanker ein. Leider erst, wenn das Kind im Brunnen liegt. Und dann werden die Instrumente der Kommunikation ebenso missbraucht wie zuvor schon die des Marketings und der Werbung.

  Aber, Wunder über Wunder, es funktioniert nicht. Und warum nicht? Weil die Wirksamkeit von Stakeholder Management und Öffentlichkeitsarbeit nicht aus einer möglichst effizienten Anwendung ihrer Instrumente kommt. Diese Instrumente sind nur Mittel zum eigentlichen Zweck. Der aber heißt Beziehungspflege. Und dazu gehört

  • Kontinuität
  • Kontinuität
  • Kontinuität
  • Überzeugungs- und nicht Überredungskunst
  • Langfristige Zielsetzung
  • Aufrichtigkeit (wohl gemerkt: nicht Blauäugigkeit; keiner erwartet von Unternehmern, dass sie sich naiv verhalten.  

  Zur Beziehungspflege braucht es alles, was sich dafür eignet, Vertrauen zu bilden und zu erhalten. 

  • Dazu gehört die Überzeugung, dass die Einbeziehung der Öffentlichkeit eine Bringschuld ist.
  • Dazu gehört, dass der Kontakt mit und die Rückmeldung aus der Öffentlichkeit nicht lästig erscheint, sondern erwünscht und stimuliert wird.
  • Dazu gehört ein Verständnis von Funktion und Aufgabe eines Unternehmens in unserer Gesellschaft, das weit hinausgeht über Effizienz, Kostensparen und Gewinnmaximierung.

   Ein Unternehmen muss heute mehr denn je verstanden werden als Gemeinwesen mit einer Vielzahl ökonomischer und sozialer Aufgaben. Sie können nur dann optimal erfüllt werden, wenn sie vom Verständnis und Vertrauen aller Mitarbeiter und des gesellschaftlichen Umfeldes mitgetragen werden.

  Große Worte? Wer es ‚ohne’ versuchen will, ist herzlich eingeladen, nicht aus den Erfahrungen anderer zu lernen. Dann eben die harte Tour. Man muss kein Prophet sein, um vorher zu sagen: Langfristig wird das nicht funktionieren.



(1) „Manipulation beim Gelben Engel?“, Süddeutsche Zeitung 14. Januar 2014

(2)  „Schaufensterveranstaltung einer gierigen Profitmaschine“, Süddeutsche Zeitung 9. Mai 2014

(3)  Komplett unter http://www.youtube.com/watch?v=PNFS2BHbOO0 [10.05.14]

(4)  http://www.reputationinstitute.com/reputation-challenges/challenges-opportunities  [10.05.14]

(5) Stammt aus älteren Unterlagen. Leider habe ich keinen direkten Nachweis mehr finden können.

(6) Hier wird bewusst nicht von Zielgruppen gesprochen, weil es primär um Fragen der Kommunikation, nicht des Verkaufens geht. Ein Stakeholder ist jemand, der nicht nur ein zu deckendes Bedürfnis hat, sondern einen Anspruch (stake), ein berechtigtes Interesse. Wie gut oder wie schlecht es gelingt, dieses Interesse zu erkennen und damit Stakeholdern die ihnen gebührende Achtung und Beachtung zu geben, ist ganz entscheidend für den langfristigen Erfolg einer Beziehung.

(7) Geprägt hat diesen Begriff Kenneth E. Boulding Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. „For the sake of picturesqueness, I am tempted to call the open economy the ‘cowboy economy’, the cowboy being symbolic of the illimitable plains and also associated with reckless, exploita-tive, romantic, and violent behavior, which is characteristic of open societies. The closed econo-my of the future might similarly be called the ‘spaceman’ economy, in which the earth has be-come a single spaceship, without unlimited reservoirs of anything, either for extraction or for pollution, and in which, therefore, man must find his place in a cyclical ecological system which is capable of continuous reproduction of material form even though it cannot escape having inputs of energy. The difference between the two types of economy becomes most apparent in the atti-tude towards consumption. In the cowboy economy, consumption is regarded as a good thing and production likewise.“ (The Economics of Spaceship Earth, 1966, S.7; http://arachnid.biosci.utexas.edu/courses/THOC /Readings/Boulding_SpaceshipEarth.pdf